... das
war doch nur eine Rangelei
Tagebuchnotizen von Andreas Neumann-Nochten
Nun sitze
ich zum dritten Mal an den Tasten, zwischendurch war es auch mal der Stift,
und versuche eine Geschichte zu Papier zu bringen, die sich immer wieder
meinen Formulierungskünsten entzieht. Gewiß, es ist eine Geschichte,
die das Zeug zu einem Krimi hat, in der es um so etwas wie Mord und Totschlag
geht und die trotz dessen unbefriedigt bleibt, denn sie ist mir bis zum
heutigen Tage die Antwort nach dem "Warum?" schuldig geblieben.
und gewiss ist es auch, dass mir die Geschehnisse an und nach jenem 13.
April 1988 heute noch mehr zu schaffen machen, als ich selbst wahrhaben
möchte. Es ist keine grandiose Story, kein umstürzlerisches
Komplott und auch kein feinsinnig ausgeklügelter Plan für eine
Flugblattaktion, wovon ich berichten möchte und der aufmerksame Leser
spürt schon, dass ich mich mit dem eigentlichen Beginn so recht von
Herzen abquäle. Fangen wir deshalb am besten mit dem "Tag danach"
an.
"Gestern
ham` sich wohl alle gebocht.", war die leicht genervte Antwort des
diensthabenden Polizisten im VPKA Naumburg, als ich am Morgen des 14.
April mit schmerzendem Kopf, entstellt durch diverse Platzwunden, Anzeige
erstatten wollte. Auf sein Geheiß nahm ich Platz im kärglich
möblierten Wartezimmer und harrte unter den väterlichen Blicken
des Generalsekretärs, hier als gekonnte Bleistiftzeichnung an die
Wand genagelt, der Bearbeitung meines Falles. Irgendwann wurde ich zu
einem Genossen gebracht, der mich nach den Geschehnissen des vergangenen
Abends befragte. Woher ich denn wisse, dass es sich bei den fraglichen
Personen um "Skeinhäds" handele, begehrte er zu wissen.
Ich beschrieb ihm den einen der drei, der sich in besonderer Weise meiner
angenommen hatte.
Abends in
der Bürgergartenstraße um 22.10 Uhr war ich ihm über den
Weg gelaufen. Er hatte mich angehalten, hatte mich Kirchenschwein und
noch einiges mehr genannt und mich dann mit gezieltem Faustschlag, wenn
auch nicht aus dem Ring, so doch immerhin zu Boden geschickt. Er hatte
sich Skin genannt, dass wusste ich noch sehr genau, trug schwarze Klamotten,
Schnürstiefel und sehr kurzgeschorenes Haupthaar. Seine beiden Begleiter
sahen zwar nicht gar so martialisch aus, ließen aber keinen Zweifel
daran, dass sie nicht nur zu ihm gehörten, sondern auch ausdrücklich
sein Tun Billigten. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich gewehrt
und zwar mit Todesangst, denn es waren nicht die Schmerzen, die mir zu
schaffen machten sondern die Furcht vor der hemmungslosen, alles inkaufnehmenden
Brutalität. Bei einem meiner linkischen Verteidigungsausfälle
habe ich so seine Jeans mit Blut beschmiert, dass meinerseits zu diesem
Zeitpunkt schon reichlich gesichtsabwärts unterwegs war. Was dann
geschah, blieb mir nur noch bruchstückhaft wahrzunehmen vergönnt:
Mein Kopf ist völlig schmerzunempfindlich, ich sehe den Fuß
kommen und spüre doch allenfall nur einen leichten dumpfen Druck
im Nacken. Eine Mädchenstimme sagt: "Hör auf, du bringst
ihn ja um!". Aus dichtem grauen Nebel taucht eine Ausweiskarte vor
meinem Gesicht auf: "FDJ-Ordnungsgruppe, was haben sie hier angestellt...?"
Eigentlich will ich lachen, schließlich bin ich es, mit dem etwas
angestellt wurde, dann ist Funkstille. Der Mann von der K. hatte sich
umfangreiche Notizen gemacht, legte mir Fotos vor und entließ mich
per Handschlag am Kontrollpunkt mit der Versicherung, dass dererlei Vorkommnisse
mit eindeutig faschistischem Hintergrund in unserem Staate mit aller Härte
begegnet würde und ich gewiss sein könnte, dass der Täter
alsbald dingfest gemacht und seiner gerechten Bestrafung zugeführt
würde.
Dann verlegte
ich meinen Wohnsitz ins Krankenhaus, denn am Tag nach dem "Tage danach"
forderte die Hirnerschütterung, die ich zu den sichtbaren Blessuren
davongetragen hatte, ihren Tribut. "Herr Neumann, wir haben eine
gute Nachricht für sie. Der Täter ist überführt und
die Akte bereits dem Staatsanwalt übergeben." Das war zwei Wochen
später. Die Dame am Telefon in den heiligen Hallen des VPKA verschluckte
sich fast an Zuvorkommenheit.
Anruf beim
Kreisstaatsanwalt: "Ja der Vorgang liegt auf dem Schreibtisch von
Herrn Staatsanwalt H., sie können Anfang Mai mit der Verhandlung
rechnen." Der Mai kam und ging auch wieder, nur nicht meine Verhandlung.
Auf dem Kreisgericht wurde mir zwar versichert, dass es sich nur um eine
terminliche Verschiebung handele, aber auf so harte Proben gedachte ich
nicht meine Geduld zu stellen und beauftragte einen Naumburger Rechtsanwalt
mit der Wahrnehmung meiner Interessen. Sichtlich betroffen von meiner
Darstellung versprach er, sich augenblicklich meiner Bitte anzunehmen.
Aber seine Beflissenheit musste auf dem Gericht einen derben Dämpfer
erhalten haben, denn er wollte plötzlich nichts mehr mit der ganzen
Sache zu tun haben.
Also telefonierte
ich weiter. Irgendwann im Juli brachte es dann eine Sekretärin bei
Gericht auf den Punkt: "Ein solcher Fall hat bei uns nie zur Verhandlung
angestanden, erkundigen sie sich doch mal bei der Volkspolizei, vielleicht
wissen die ja mehr."
Doch die
wusste schon gleich gar nichts. "Wovon sprechen sie überhaupt?",
wollte der Herr am anderen Ende wissen und er sagte das mit einem Unterton,
der mich ahnen ließ, wieviel doch im real existierenden Sozialismus
gestohlen, geschlagen und gemordet wurde, zumal in einer Kleinstadt wie
Naumburg, dass nun weiß Gott das Erinnerungsvermögen nicht
auch noch auf die Gründe für meine Begehrlichkeit hin strapaziert
werden durfte. Ich blieb, wie selten in meinem Leben, beharrlich und es
nutzte. (aber erst beim fünften Telefonat) "Ach ja da ging es
doch um so eine kleine Rangelei unter Freunden, na aber Herr Neumann,
das haben wir doch nur der Konfliktkommission des Betriebes des Betreffenden
übergeben, von denen werden sie dann sicher mal was hören."
Der Betreffende
kam und drückte mir hundert Mark für meinen an jenem Apriltag
dahingegangenen Mantel in die Hand. Mit ihm habe ich meinen Frieden geschlossen,
wie aber "Mein Fall" innerhalb eines halben Jahres von "prioritärer
Chefsache" hin zur Kehrblechfüllung unterm Schreibtisch eines
Naumburger VEB`s mutieren konnte, bleibt mit auch heute noch ein Rätsel.
Noch lange
vor der Wende fand einer, der es durchaus wissen konnte, in redseliger
Stimmung eine mögliche Antwort: "Da gab es so ein paar Beziehungen,
sie verstehen schon wie ich das meine und ein paar Leute, denen es durchaus
nicht ungelegen kam, dass einer wie sie, stellvertretend für die
Kreise in denen sie verkehren, mal richtig eins auf die Schnauze gekriegt
hat."
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