1. Mai
1982 - Der Riß in der Fassade
Tagebuchnotizen von Andreas Neumann-Nochten
Ein Bonmot,
aufgeschnappt bei der Verabschiedung eines Dichters 1980 in Berlin, lautete:
Warum zerbröckeln in der DDR immer mehr die Fassaden? Antwort: Weil
der Staat alles nur darauf verwendet, die eigene Fassade aufrecht zu erhalten.
Mein Gott,
was waren wir euphorisch an diesem verregneten 30. April 1982, nach dem
letzten Seminar, in der Studentenbude bei Rotwein, Marke Gamza, vielleicht
war es auch der extratrockene Cabernet. Ein paar Studenten hatten mich
angesprochen, doch meinen künstlerischen Qualitäten auf dem
Gebiet der Plakatschreiberei freien Lauf zu lassen. Im Wesentlichen bestand
meine Aufgabe darin, Sätze wie "...daß nie eine Mutter
mehr ihren Sohn beweint" und "Für Abrüstung in West
und Ost" mit reichlich Farbe und breitem Pinsel auf großformatiges
Papier zu bringen. Am Ende des Abends lagen dann sieben oder acht Plakate
bereit, auf Pappe aufgezogen und teilweise an Besenstielen befestigt,
zur gefälligen Benutzung bei der tagsdrauf wie alle Jahre wieder
stattfindenden Maidemonstration. Weit entfernt davon, ein subversiv veranlagtes
oppositionelles Element zu sein, welches sich allabendlich im Schatten
bröckelnder Hausfassaden zu staatsfeindlichen Zirkeln halbgewalkter
Intellektueller schleicht (so jedenfalls drückte es zu einem späteren
Zeitpunkt ein Mitarbeiter einer-nicht-genannt-sein-wollenden Behörde
aus) ergriff ich die Gelegenheit, wahrscheinlich mehr aus Lust am Abenteuer,
denn aus politischer Überzeugung, und fand mich am nächsten
Morgen beim verabredeten Treffpunkt auf dem Lindenring, dem Stellplatz
der Marschblöcke, ein.
Wenn mich
meine Erinnerung nicht trügt, bestand die Phalance der Staatsfeinde,
die mit ungenehmigten Parolen das friedvolle Miteinander von Partei und
erstem sozialistischem Volk auf Naumburger Boden zu hintertreiben versuchten,
aus sieben Personen. Nie werde ich die Dame mit halblangem dunklen Rock,
Kostümjacke und etwas Rotem am Körper vergessen, sei dieses
besagte Etwas nun der Einkaufsbeutel, der Schirm, das Halstuch oder die
Bluse gewesen. Die verräterischen Sprüche um den Leib gewickelt,
oder wie schon erwähnt, auf Besenstiele gespießt, schienen
wir ihr der Beachtung so viel wert zu sein, daß sie uns auf dem
Weg zum Stellplatz in gehörigem Abstand wachsamen Auges ihre Begleitung
angedeihen ließ. Als wir uns jedoch die Freiheit nahmen, uns mit
unseren jenseit jeglicher DEWAG-Norm gefertigten Parolen zwischen die
inzwischen formierten Blöcke von MEWA und Krankenhaus zu stellen,
gesellte sie sich uns zur Seite. Jedoch nicht, ohne sich zuvor der Unterstützung
zweier Vertreter der uniformierten Organe des Volkes versichert zu haben,
deren schönsten Tag wir zu verderben gesonnen schienen. Da standen
wir nun, an die Wand der Hirschapotheke gedrängt, umringt von mittlerweile
noch mehr Polizisten, die mindestens genauso unsicher dreinschauten wie
wir. Ausweiskontrolle, Feststellung der Personalien; hinter uns zogen
derweilen die glücklichen Menschen Transparente schwenkend der tribünierten
Vertreterschaft von Partei und Staatsmacht entgegen, um ihnen winkender
Hand und schlurfenden Fußes tiefempfundenen Dank und Anerkennung
zu zollen. "Wir wollen Ihnen doch keinen Ärger machen,"
sagte einer von uns, und ich war mir in diesem Augenblick nicht sicher,
was größer war , meine Angst oder das Mitleid mit dem Polizisten,
der mit zitternder und weinerlicher Stimme zurückgab: "....
Ihr macht mir aber Ärger." Die Ordnungshüter waren so mit
der Situation befaßt, daß sie nicht einmal die Krankenschwester
beachteten, die mit dem Ausruf, "..wenn die nicht mitgehen dürfen,
marschiere ich auch nicht mit", ihr Plakat runterklappte und sich
demonstrativ auf den Heimweg machte.
Was danach
kam, war für uns eher ein Triumphmarsch, denn eine unehrenhafte Verhaftung.
Die Salzstraße hinunter, über die ganze Breite, rechts und
links Polizisten, wir in der Mitte, ging es einem uns unbekannten Ziel
entgegen. "Endlich mal was los hier," oder "Kopf hoch"
kam es aus den mit Schaulustigen besetzten Fenstern. Der Endpunkt unserer
Reise war das Polizeirevier am Topfmarkt, Ecke Wenzelstraße. Ich
hätte nie vermutet, daß sich ausgerechnet dort, hinter marodem
Mauerwerk und ständig verschlossenen Jalousien des Volkes schützender
Arm eine Jackentasche gesucht hatte, in der jede Menge Polizisten, ein
paar "Present 70" gewandeter unauffälliger Schlendriane
und zudem noch eine Handvoll Delinquenten Platz fanden. Aber wir fanden
Raum in der Herberge, wenn auch in einem verdunkelten Hinterzimmer, mit
einem Stuhl, auf dem zunächst die "Dame mit etwas Rotem am Körper"
Platz nahm. Wir sollten an der Wand stehen bleiben. Taten wir aber nicht.
Wir sangen "o Freedom.." - sollten wir aber nicht. Die Zeit
schlich dahin, im Nachbarraum hörten wir Stimmengemur- mel und irgendwann
nach unserer Abmachung, wir würden uns um keinen Preis trennen lassen,
wurde der erste von uns ins Nachbarzimmer "geholt". Wie es den
anderen erging, weiß ich nur aus deren Erzählungen. Ich selbst
war der Vorletzte. Nochmals Personalien; das Dienstzimmer war gelinde
gesagt, gerammelt voll, noch mehr Polizisten, noch mehr Zivile und ein
älterer Herr mit roter Nelke am Revers, der offensichtlich der Mittelpunkt
der Staatsübermacht war. Kein Wort mehr über die Maidemonstration,
nur die Feststellung, daß ich augenscheinlich keine staatsfeindlichen
Symbole mit mir herumtrage, dann ein Tritt gegen den Oberschenkel und
ab vor die Tür. Da standen wir nun , bis auf eine Studentin. Und
wie wir nun die Ohren spitzten und, auf die eindeutigen Geräusche
hin, uns gegen die von zwei Beamten von innen zugehaltene Tür warfen,
gab diese auch nach und uns den Blick ins Innere frei. Da ließ für
mich zum ersten Mal der erste freie Arbeiter- und Bauernstaat, der Schluß
gemacht hatte mit der Unterdrückung des Menschen durch den Menschen
ein Stück der Kehrseite von Hammer, Sichel und Ährenkranz durchblicken.
Fotografiert
hätte die Szene gut auf die Titelseite des Neuen Deutschland gepaßt:
"Blindwütige Polizisten im Dienste der Bonner Ultras vernehmen
unschuldige Demonstrantin." Auch der distinguierte Herr mit der Nelke
im Knopf legte leicht derangiert Hand mit an. Sie hatte sich geweigert,
den unerwünschten Aufnäher von ihrer Jacke abzutrennen und obendrein
noch die Stirn gehabt, solange im Kreise unserer Bewacher verweilen zu
wollen, bis ihr die Plakate und wenn nicht die, dann doch wenigstens die
Besenstiele ausgehändigt würden. Sie wurde an Händen und
Füßen von den Ordnungshütern festgehalten aus dem Revier
geschleift. Das Zeichen des Friedens an ihrer Jacke hatten die Hüter
der Friedensmacht abgerissen.
Wir zogen
davon, wohlgemerkt mit unseren Besenstielen, die Wogen glätteten
sich, die Vertreter von Staat und Kirche schafften es, uns ungeschoren
und vor allem unauffällig davonkommen zu lassen. Was aber blieb,
war das Gefühl: es wird nichts bleiben, wie es ist. Auch in Naumburg
hatte die Fassade einen Riß bekommen.
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