3. Demonstration 15.01.1990
 
   
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Marienstraße
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Naumburg war wie überall ...
von Andreas Neumann-Nochten

...wenn man einmal die Metropolen der ersten sozialistischen Republik auf deutschem Boden ausklammert. Denn dort wurde der Verlauf der friedlichen Revolution im Wesentlichen durch die Anwesenheit der Journalisten aus dem NSW mitbestimmt. Meine These ist, dass ohne diese Berichterstatter aus dem Westen die 89er Revolution nicht stattgefunden oder zumindest einen anderen Verlauf genommen hätte.

Das Spielchen hatte denkbar einfache Regeln. Die Demowilligen irgendeines Provinznestes sind natürlich nicht so dämlich gewesen, ihren Frust durch das Herumschwenken staatsfeindlicher Symbole auf dem Hinterhof freien Lauf zu lassen. Nein, der Polittourismus hatte Hochkonjunktur und die DDR-Reisebüros wären gut beraten gewesen, entsprechende Reisemöglichkeiten anzubieten, sie hätten sich auch eine rote, pardon, goldene Nase daran verdient. Doch ich schweife ab. Man fuhr also z.B. nach Leipzig, eventuell ein Spruchband unter den BH geklemmt und die auf der heimischen Erika getippten Seiten einer Petition klein gefaltet in der Unterhose. Erstens, weil dort noch viele andere saßen, ähnlich ausgerüstet und bestückt beim Gebet für den Frieden, um den es leider gar nicht mehr ging, zweitens, weil die Chance, von einer der immer anwesenden, zumeist versteckten Kameras der West-Medien ins rechte Bild gesetzt zu werden, die die Aussichten auf eine bevorzugte Abfertigung des eigenen Ausreiseanliegens begünstigen konnten. Dass ein Großteil der Querulanten dabei auch zum ersten Mal im Leben eine Kirche von Innen sah, sei der Vollständigkeit halber noch miterwähnt.

Die Reporter wußten: in Leipzig ist Montag, und wenn Montag ist, dann tanzt der Bär. Die potenziellen Unruhestifter wußten, dass die Reporter es wußten und also gab man sich aus o.g. Gründen allmontaglich in Leipzig ein Stelldichein. Nicht anders wurde in den Jahren vor der Wende verfahren. Es war z.B. völlig ausreichend in Berlin einen nassen Pfurz in die andere Richtung abzugeben, um die wohlwollende Erwähnung bei den Öffentlich-Rechtlichen sicher sein zu können. In der Provinz hingegen bedurfte es schon einer Selbstverbrennung, um halbwegs Aufmerksamkeit zu erregen. Dabei wurde dort nicht weniger verhaftet, festgenommen, zugeführt, geschlagen und getreten. Aber wie gesagt, alles hatte seine Spielregeln, und wer so doof war, sich in Unterpissmichan auf die Flaniermeile hinterm Rinderoffenstall zu stellen und die Fahne falsch herum zu schwenken, der verdiente nichts anderes, als Prügel und auf keinem Fall eine lobende Erwähnung im Feindsender. Nicht einmal bei "Wetten das" oder "Versteckte Kamera".

Es ist heute völlig irrelevant, welche Oppositionsgruppe zuerst da war. Der Demokratische Aufbau hätte es theoretisch sein können, aber da agierten zuviele Theologen, die es ganz genau nahmen und erst den Deckel vom Topf nehmen würden, wenn auch das letzte Möhrchen sich zur adäquaten Erbse gesellt hätte. Da war das Neue Forum, dass aus einer Laune des Schicksals heraus entstand, welches wiederum in Gestalt der schon viel gescholtenen Westreporter mal eben bei Frau B. in Berlin vorbeischaute. Wozu den Deckel auf den Topf lassen, wenn eh noch nichts drin ist, sagte sie zu sich und wohl auch zu den Reportern, und die nachfolgende Zeit gab diesem Geistesblitz Recht. Abertausende strömten der neuen Bewegung zu und wussten im Endeffekt nur eins, dass sie das Volk waren. Und dass alles anders werden musste. Demokratie Jetzt und die Initiative für Frieden und Menschenrechte blieben Randerscheinungen im bunten Bild der frühen Oppositionsbewegungen. Mit dem Neuen Forum und dessen Stellung zu anderen politischen Kräften hatte es dann allerdings auch seine besondere Bewandnis, und das nicht nur in Naumburg, sondern in zahlreichen Städten und Gemeinden ähnlicher Struktur.

Wir DDR-Bürger waren es nunmal gewöhnt von einer starken Hand geführt zu werden, einer Partei vertrauen zu dürfen, die für uns denkt und handelt, und die notfalls auch Revolution macht. Wir sind jetzt die, die sagen, wo es langgeht, lautete das Credo des Neuen Forums, und um zum Ziel zu gelangen, bediente man sich unversehens dessen, was man zu beseitigen gedachte, des Alleinvertretungsanspruches. Besondere Blüten trieb dieses Gebahren, wie kann es anders sein, auch in Naumburg. Am 7. Oktober wurde hier der Demokratische Aufbruch aus der Taufe gehoben. Um die gleiche Zeit bildete sich aus dem bereits im September gegründeten Neuen Forum ein Koordinationskreis, der die Aktivitäten der friedlichen Revolutionäre steuern und lenken sollte. Dieser bestand aus acht Mitgliedern des Neuen Forums, den anderen politischen Bewegungen standen jeweils ein Sitz zur Verfügung, dem DA und der SDP (später SPD). Was dem einen oder anderen und mir ganz besonders sauer aufstieß, war die Tatsache, dass die Protagonisten der Wende zumeist erst im September ihr Herz für die Revolution entdeckt hatten und zu Zeiten durchaus schon Oppositionelles in Naumburg im Schwange war. Wie z.B. der Friedensarbeitskreis und die Umweltgruppe, die - wenn überhaupt nur - den inneren Aufstand in Erwägung zogen.

Wie dem auch sei, der Leitungskreis des Neuen Forums tagte, fasste einen oder mehrere Beschlüsse und brachte diese dann im Koordinationsausschuss in der schon oben erwähnten Besetzung als eigenen Beitrag ein. Irgendwo und irgendwie hatten wir das alle schon erlebt, die Absicht wurde deutlich und deutlicher - auch die folgenden gegenseitigen Verstimmungen. Ein altes Sprichwort sagt, die Letzten beißen die Hunde. Bei der Wende war es eher umgekehrt. In meiner unbedachten Schnoddrigkeit hatte ich mir über das Ausbleiben der Verlautbarungen des DA in der Lokalpresse, bei einem Frühbittgottesdienstes im Dom, beschwert. Am übernächsten Tag verpasste mir die Zeitung dafür eine Abreibung, die mich aussehen ließ wie die "Bonner Ultras" in finstersten Zeiten des kalten Krieges. Und um dem Ganzen ein Sahnehäubchen überzustülpen, fühlte auch ein namhafter Vertreter der evangelischen Kirche im Dunstkreis Naumburgs sich genötigt, mir noch eins mit der moralisch-ethisch-geistlichen Knute drüberzuziehen. Wenige Wochen später würden ganz andere Dinge im Dom gesagt werden, aber einer ist halt immer der Erste, beim Beißen und Gebissenwerden.

Während in Leipzig schon die ersten Deutschlandfahnen wedelten und die Freizeit-Revoluzzer die Marschmeile um den Ring schlaftrunkend oder trunkschlafend entlang pieselten, reifte auch in Naumburg die Zeit ähnliches in Gang zu setzen. In kleiner Runde saßen wir also in der Marienstra¤e 34, immer noch irgendwie sehr konspirativ und immer noch gut beobachtet. Wir planten einen Aufruf zum gewaltfreien Marsch nach dem abendlichen Gottesdienst im Dom. Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein und erreichte uns mitten in der Besprechung: Der Koordinationskreis hatte beschlossen, dass keine Demo stattfindet. Das sollten die mir schon lieber sagen und vor allem eine handfeste Begründung dazu liefern. Die Begründung kam in Person eines Freundes: "Wir haben beschlossen, eine Demonstration erst nach Absprache mit dem VPKA (Volkspolizeikreisamt) und dem Rat des Kreises durchzuführen, um nicht unnötig den Verkehr in der Stadt zu behindern." War es Angst, Feigheit, wohl gemeinte Vorsicht oder spielten da andere Überlegungen eine Rolle? Auch heute bin ich noch geneigt, diesen geadezu surreal anmutenden Beschluss des Neuen Forums als Vorsichtsmaßnahme zu interpretieren.

Im Gottesdienst am Abend hielt ich mich mit jesuitischer Schläue an das mir auferlegte Verbot. Ich sagte, was ich zu sagen hatte und informierte dann die versammelte Zuhörerschaft, dass ich die Absicht hätte, nach dem Gottesdienst mit einer Kerze in der Hand vom Dom zum Rathaus zu laufen. Ich betonte, dass dies kein Demonstrationsaufruf sei, ich aber natürlich auch niemanden daran hindern könnte, es mir gleich zu tun. Zwar stand das Neue Forum alsgleich am Mikrofon und warnte in aller Dringlichkeit vor der Teilnahme an meinem Gang zum Rathaus - aber das Eis war gebrochen. Wieviele es waren, ist mir nicht mehr in Erinnerung geblieben. Ich hatte zum Schweigemarsch aufgerufen. das klappte auch den Steinweg hinauf, aber bei der Einmündung der Windmühlstraße sah ich mich plötzlich von fünf oder sechs athletischen jungen Männern umringt, die herzhaft in den Ruf "Wir sind das Volk" ausbrachen und unter ohrenbetäubendem Krawall endete der Marsch vor dem Rathaus. Ein Aufruf meinerseits zur Besonnenheit konnte einen Teil der Demonstranten ncht davon abhalten bis zur Dienststelle der Staatssicherheit zu ziehen, um auch dort mit Kerzenschein den Brüdern von der Firma ein bisschen heimzuleuchten.

Es kam wie es kommen mußte. Das Neue Forum zog in Erwägung, mir in Absprache mit den Kirchengemeinden Auftritts- und Redeverbot in kirchlichen Räumen erteilen zu lassen. Glücklicherweise blieb es bei der Überlegung, denn nur wenige Zeit später hatten Kirchen als Versammlungsstätte wieder ausgedient und das Volk machte auf den Straßen und Plätzen der Stadt von sich reden. Da hatte ich dem Neuen Forum die Schau gestohlen, und ich gestehe, dass das auch meine Absicht war, dass ich auch heute noch kein schlechtes Gewissen in dieser Sache mit mir herum schleppe, oder das Gefühl habe, nachträglich Abbitte tun zu müssen. Bedauerlich bleibt nur, dass wir zu damaliger Zeit viel Kraft in unnütze Streitigkeiten vertaten und nicht die Zeichen der Zeit erkannten, die sich lautstark auf den Straßen kundtaten: Wir sind das Volk --- Wir sind ein Volk --- Wir sind Dein Volk, Helmut!