Naumburg
war wie überall ...
von Andreas Neumann-Nochten
...wenn man
einmal die Metropolen der ersten sozialistischen Republik auf deutschem
Boden ausklammert. Denn dort wurde der Verlauf der friedlichen Revolution
im Wesentlichen durch die Anwesenheit der Journalisten aus dem NSW mitbestimmt.
Meine These ist, dass ohne diese Berichterstatter aus dem Westen die 89er
Revolution nicht stattgefunden oder zumindest einen anderen Verlauf genommen
hätte.
Das Spielchen
hatte denkbar einfache Regeln. Die Demowilligen irgendeines Provinznestes
sind natürlich nicht so dämlich gewesen, ihren Frust durch das
Herumschwenken staatsfeindlicher Symbole auf dem Hinterhof freien Lauf
zu lassen. Nein, der Polittourismus hatte Hochkonjunktur und die DDR-Reisebüros
wären gut beraten gewesen, entsprechende Reisemöglichkeiten
anzubieten, sie hätten sich auch eine rote, pardon, goldene Nase
daran verdient. Doch ich schweife ab. Man fuhr also z.B. nach Leipzig,
eventuell ein Spruchband unter den BH geklemmt und die auf der heimischen
Erika getippten Seiten einer Petition klein gefaltet in der Unterhose.
Erstens, weil dort noch viele andere saßen, ähnlich ausgerüstet
und bestückt beim Gebet für den Frieden, um den es leider gar
nicht mehr ging, zweitens, weil die Chance, von einer der immer anwesenden,
zumeist versteckten Kameras der West-Medien ins rechte Bild gesetzt zu
werden, die die Aussichten auf eine bevorzugte Abfertigung des eigenen
Ausreiseanliegens begünstigen konnten. Dass ein Großteil der
Querulanten dabei auch zum ersten Mal im Leben eine Kirche von Innen sah,
sei der Vollständigkeit halber noch miterwähnt.
Die Reporter
wußten: in Leipzig ist Montag, und wenn Montag ist, dann tanzt der
Bär. Die potenziellen Unruhestifter wußten, dass die Reporter
es wußten und also gab man sich aus o.g. Gründen allmontaglich
in Leipzig ein Stelldichein. Nicht anders wurde in den Jahren vor der
Wende verfahren. Es war z.B. völlig ausreichend in Berlin einen nassen
Pfurz in die andere Richtung abzugeben, um die wohlwollende Erwähnung
bei den Öffentlich-Rechtlichen sicher sein zu können. In der
Provinz hingegen bedurfte es schon einer Selbstverbrennung, um halbwegs
Aufmerksamkeit zu erregen. Dabei wurde dort nicht weniger verhaftet, festgenommen,
zugeführt, geschlagen und getreten. Aber wie gesagt, alles hatte
seine Spielregeln, und wer so doof war, sich in Unterpissmichan auf die
Flaniermeile hinterm Rinderoffenstall zu stellen und die Fahne falsch
herum zu schwenken, der verdiente nichts anderes, als Prügel und
auf keinem Fall eine lobende Erwähnung im Feindsender. Nicht einmal
bei "Wetten das" oder "Versteckte Kamera".
Es ist heute
völlig irrelevant, welche Oppositionsgruppe zuerst da war. Der Demokratische
Aufbau hätte es theoretisch sein können, aber da agierten zuviele
Theologen, die es ganz genau nahmen und erst den Deckel vom Topf nehmen
würden, wenn auch das letzte Möhrchen sich zur adäquaten
Erbse gesellt hätte. Da war das Neue Forum, dass aus einer Laune
des Schicksals heraus entstand, welches wiederum in Gestalt der schon
viel gescholtenen Westreporter mal eben bei Frau B. in Berlin vorbeischaute.
Wozu den Deckel auf den Topf lassen, wenn eh noch nichts drin ist, sagte
sie zu sich und wohl auch zu den Reportern, und die nachfolgende Zeit
gab diesem Geistesblitz Recht. Abertausende strömten der neuen Bewegung
zu und wussten im Endeffekt nur eins, dass sie das Volk waren. Und dass
alles anders werden musste. Demokratie Jetzt und die Initiative für
Frieden und Menschenrechte blieben Randerscheinungen im bunten Bild der
frühen Oppositionsbewegungen. Mit dem Neuen Forum und dessen Stellung
zu anderen politischen Kräften hatte es dann allerdings auch seine
besondere Bewandnis, und das nicht nur in Naumburg, sondern in zahlreichen
Städten und Gemeinden ähnlicher Struktur.
Wir DDR-Bürger
waren es nunmal gewöhnt von einer starken Hand geführt zu werden,
einer Partei vertrauen zu dürfen, die für uns denkt und handelt,
und die notfalls auch Revolution macht. Wir sind jetzt die, die sagen,
wo es langgeht, lautete das Credo des Neuen Forums, und um zum Ziel zu
gelangen, bediente man sich unversehens dessen, was man zu beseitigen
gedachte, des Alleinvertretungsanspruches. Besondere Blüten trieb
dieses Gebahren, wie kann es anders sein, auch in Naumburg. Am 7. Oktober
wurde hier der Demokratische Aufbruch aus der Taufe gehoben. Um die gleiche
Zeit bildete sich aus dem bereits im September gegründeten Neuen
Forum ein Koordinationskreis, der die Aktivitäten der friedlichen
Revolutionäre steuern und lenken sollte. Dieser bestand aus acht
Mitgliedern des Neuen Forums, den anderen politischen Bewegungen standen
jeweils ein Sitz zur Verfügung, dem DA und der SDP (später SPD).
Was dem einen oder anderen und mir ganz besonders sauer aufstieß,
war die Tatsache, dass die Protagonisten der Wende zumeist erst im September
ihr Herz für die Revolution entdeckt hatten und zu Zeiten durchaus
schon Oppositionelles in Naumburg im Schwange war. Wie z.B. der Friedensarbeitskreis
und die Umweltgruppe, die - wenn überhaupt nur - den inneren Aufstand
in Erwägung zogen.
Wie dem auch
sei, der Leitungskreis des Neuen Forums tagte, fasste einen oder mehrere
Beschlüsse und brachte diese dann im Koordinationsausschuss in der
schon oben erwähnten Besetzung als eigenen Beitrag ein. Irgendwo
und irgendwie hatten wir das alle schon erlebt, die Absicht wurde deutlich
und deutlicher - auch die folgenden gegenseitigen Verstimmungen. Ein altes
Sprichwort sagt, die Letzten beißen die Hunde. Bei der Wende war
es eher umgekehrt. In meiner unbedachten Schnoddrigkeit hatte ich mir
über das Ausbleiben der Verlautbarungen des DA in der Lokalpresse,
bei einem Frühbittgottesdienstes im Dom, beschwert. Am übernächsten
Tag verpasste mir die Zeitung dafür eine Abreibung, die mich aussehen
ließ wie die "Bonner Ultras" in finstersten Zeiten des
kalten Krieges. Und um dem Ganzen ein Sahnehäubchen überzustülpen,
fühlte auch ein namhafter Vertreter der evangelischen Kirche im Dunstkreis
Naumburgs sich genötigt, mir noch eins mit der moralisch-ethisch-geistlichen
Knute drüberzuziehen. Wenige Wochen später würden ganz
andere Dinge im Dom gesagt werden, aber einer ist halt immer der Erste,
beim Beißen und Gebissenwerden.
Während
in Leipzig schon die ersten Deutschlandfahnen wedelten und die Freizeit-Revoluzzer
die Marschmeile um den Ring schlaftrunkend oder trunkschlafend entlang
pieselten, reifte auch in Naumburg die Zeit ähnliches in Gang zu
setzen. In kleiner Runde saßen wir also in der Marienstra¤e 34,
immer noch irgendwie sehr konspirativ und immer noch gut beobachtet. Wir
planten einen Aufruf zum gewaltfreien Marsch nach dem abendlichen Gottesdienst
im Dom. Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein und erreichte uns mitten
in der Besprechung: Der Koordinationskreis hatte beschlossen, dass keine
Demo stattfindet. Das sollten die mir schon lieber sagen und vor allem
eine handfeste Begründung dazu liefern. Die Begründung kam in
Person eines Freundes: "Wir haben beschlossen, eine Demonstration
erst nach Absprache mit dem VPKA (Volkspolizeikreisamt) und dem Rat des
Kreises durchzuführen, um nicht unnötig den Verkehr in der Stadt
zu behindern." War es Angst, Feigheit, wohl gemeinte Vorsicht oder
spielten da andere Überlegungen eine Rolle? Auch heute bin ich noch
geneigt, diesen geadezu surreal anmutenden Beschluss des Neuen Forums
als Vorsichtsmaßnahme zu interpretieren.
Im Gottesdienst
am Abend hielt ich mich mit jesuitischer Schläue an das mir auferlegte
Verbot. Ich sagte, was ich zu sagen hatte und informierte dann die versammelte
Zuhörerschaft, dass ich die Absicht hätte, nach dem Gottesdienst
mit einer Kerze in der Hand vom Dom zum Rathaus zu laufen. Ich betonte,
dass dies kein Demonstrationsaufruf sei, ich aber natürlich auch
niemanden daran hindern könnte, es mir gleich zu tun. Zwar stand
das Neue Forum alsgleich am Mikrofon und warnte in aller Dringlichkeit
vor der Teilnahme an meinem Gang zum Rathaus - aber das Eis war gebrochen.
Wieviele es waren, ist mir nicht mehr in Erinnerung geblieben. Ich hatte
zum Schweigemarsch aufgerufen. das klappte auch den Steinweg hinauf, aber
bei der Einmündung der Windmühlstraße sah ich mich plötzlich
von fünf oder sechs athletischen jungen Männern umringt, die
herzhaft in den Ruf "Wir sind das Volk" ausbrachen und unter
ohrenbetäubendem Krawall endete der Marsch vor dem Rathaus. Ein Aufruf
meinerseits zur Besonnenheit konnte einen Teil der Demonstranten ncht
davon abhalten bis zur Dienststelle der Staatssicherheit zu ziehen, um
auch dort mit Kerzenschein den Brüdern von der Firma ein bisschen
heimzuleuchten.
Es kam wie
es kommen mußte. Das Neue Forum zog in Erwägung, mir in Absprache
mit den Kirchengemeinden Auftritts- und Redeverbot in kirchlichen Räumen
erteilen zu lassen. Glücklicherweise blieb es bei der Überlegung,
denn nur wenige Zeit später hatten Kirchen als Versammlungsstätte
wieder ausgedient und das Volk machte auf den Straßen und Plätzen
der Stadt von sich reden. Da hatte ich dem Neuen Forum die Schau gestohlen,
und ich gestehe, dass das auch meine Absicht war, dass ich auch heute
noch kein schlechtes Gewissen in dieser Sache mit mir herum schleppe,
oder das Gefühl habe, nachträglich Abbitte tun zu müssen.
Bedauerlich bleibt nur, dass wir zu damaliger Zeit viel Kraft in unnütze
Streitigkeiten vertaten und nicht die Zeichen der Zeit erkannten, die
sich lautstark auf den Straßen kundtaten: Wir sind das Volk ---
Wir sind ein Volk --- Wir sind Dein Volk, Helmut!
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