2. Demonstration 19.11.1989
 
   
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"Als Fotograf saß ich sozusagen zwischen den Stühlen"
Interview mit Gunter Heineck Herr Heineck,

Sie haben die drei wichtigsten Demonstrationen in Naumburg mit einer Fülle von Fotos dokumentiert. Was waren die Gründe?

Einerseits meine Fotoneugier, aber eigentlich war der Grund, daß zu der Zeit eine eine langersehnte Erleichterung passierte, daß wirklich etwas in Bewegung kam. Alles war ja noch da, die politische Führung unter Krenz war ja noch unter SED Regierung. Am Anfang bei der ersten Demonstration war noch eine Ungewißheit, aber schon bei der 2. Demonstration das Gefühl, daß wirklich alles anders würde. Folglich war das Thema dort auch die "Wendehälse". Dennoch kam vermehrt die Sorge und auch eine gehörige Portion Angst bei allen Beteiligten vor einer Rache bzw. vor einem Rückfall in das alte Systems auf. Es war eine gewisse Befreiung dorthin zu gehen und so viel Menschen auf der Straße zu sehen. Das machte Mut. Aber dennoch die Unruhe, wie würden sich die Russen verhalten- in Naumburg waren ja 30.000 sowjetische Soldaten stationiert. Das belastete natürlich alle und wenn es eins nicht gab, dann die Parole "Russen raus!".

Verglichen mit Fotos von westlichen Reportern haben Sie eher eine räumliche Distanz gehalten, die Demonstranten eher als "stummer Beobachter" fotografiert. Wie vorsichtig mußte man im Herbst 89 noch sein?

Es war so, daß die Stasi so verhaßt war, daß ich mehrmals bei Demonstranten, die mich nicht kannten, in den Verdacht kam, für die Stasi zu fotografieren. So hörte ich einige Male den Spruch "Stasi raus" mit Blick auf mich. Das Foto mit den Kerzen an der Stasizentrale war für mich das Schwierigste an jenem Tag und nur aus der Distanz möglich. Dort waren einige junge Leute, die sich trauten, aus der Demonstration ausgeschert, um auf der Mauer des Gebäudes Kerzen aufzustellen. Und dort liefen natürlich die Kameras der Stasi, versteckt hinter den Fensterrollos. Die Zimmer waren unbeleuchtet, aber man sah schemenhaft Gestalten hinter den Fenstern.

Also war die erste Demonstration die Spannendere?

Das stimmt. Die hatte die Mischung zwischen Begeisterung, Hoffnung und Angst.

Hatte die Stasi Sie auch im Visir?

Nicht nur das. Meine Stasiakte, in der ich unter dem Pseudonym "Fotograf" geführt wurde - so wurde mir mein Hobby zum Verhängnis - ist ein dickes Buch, das mir nach Jahren ausgehändigt wurde. Jahrelang wurde ich observiert. Jede Bewegung, selbst die Einrichtung meines Fotolabors im Landbaukombinat wurde akribisch dokumentiert. Ein Beispiel: Einmal habe ich oberhalb des Buchholzgraben Wolkenformationen fotografiert, allerdings war auch ein Strommast darauf, der zu einer russischen Kaserne führte und im Hintergrund lag von mir unbeachtet eine Radarstation. Also kam ich in den Verdacht der Spionage bzw. Sabotage. Es dauerte jahrelang bis diese Mistkrepels feststellten, daß ich von meinem Standplatz keinerlei Einsicht auf die dortliegenden Anlagen haben konnte. Das ist einer von unglaublich vielen Fällen, die bei der Stasi zu folgenden Mutmaßungen führte: Entweder würde ich unter dem Einfluß westlicher Verwandter stehen oder sogar ein "angeworbener Spion eines imperialistischen Geheimdienstes" sein. Zum Schluß kam man aber doch zu der Einschätzung, daß der Sachverhalt auf meine "Hobbyinteressen auf fotografischen Gebiet" beruhe.

Einer Anekdote gleich kam der Abbau des Marx und Engels Denkmal vor der SED Kreisleitung - was passierte da?

Ich sollte im Auftrag der Zeitung "Freiheit" im Frühjahr ´90 Fotos machen. Da die Bronzefiguren im Dunkeln abgeräumt werden sollten - man wollte so wenig Öffentlichkeit wie möglich - war dies natürlich bei den schlechten Lichtverhältnissen schwierig. Lenin konnte der kleine Bagger schnell entfernen, aber Marx blieb standhaft und konnte am selbigen Abend nicht entfernt werden. Und so wurde das Seil um seinen Körper wieder entfernt. Wenn man bedenkt, daß Jahre vorher noch von der Stasi gegen jeden hart vorgegangen wurde, der ihm zum Beispiel im Winter eine Pudelmütze aufgesetzt oder einen Schal umgebunden hatte. Sicherlich war das nur als kleiner Jugendstreich gedacht, konnte aber den Urheber schnell ins Gefängnis bringen.

Wenn Sie nunmehr zehn Jahre später ihre Fotos betrachten, gibt es da noch so ein Kribbeln oder einen leichtern Schauer?

Eigentlich nicht. Es ist vorbei und für mich Geschichte. Wenn man aber tiefer nachdenkt, dann erinnert man sich an viele Sachen wieder, vor allem, wie sich die Hoffnungen am Ende realisiert haben. Jeder dachte, alles wird wie im Westen, alles wird paradiesisch. Aber vieles kam anders, denken Sie allein an die vielen Arbeitslosen. Auch ich habe kurz danach meinen alten Beruf verloren. Aber ich bin wirklich froh, wie alles gekommen ist. Vieles ist schöner geworden, allein wenn ich mir das Stadtbild ansehe, die vielen neugepflanzten Bäume und restaurierten Gebäude. Und auch das Leben auf den Plätzen, vor allem im Sommer mit den Biergärten - kein Vergleich zu früher.

Herr Heineck, vielen Dank für das Gespräch und vor allem, daß wir mit Ihnen diese Ausstellung machen dürfen.