"Als
Fotograf saß ich sozusagen zwischen den Stühlen"
Interview mit Gunter Heineck Herr Heineck,
Sie haben
die drei wichtigsten Demonstrationen in Naumburg mit einer Fülle
von Fotos dokumentiert. Was waren die Gründe?
Einerseits
meine Fotoneugier, aber eigentlich war der Grund, daß zu der Zeit
eine eine langersehnte Erleichterung passierte, daß wirklich etwas
in Bewegung kam. Alles war ja noch da, die politische Führung unter
Krenz war ja noch unter SED Regierung. Am Anfang bei der ersten Demonstration
war noch eine Ungewißheit, aber schon bei der 2. Demonstration das
Gefühl, daß wirklich alles anders würde. Folglich war
das Thema dort auch die "Wendehälse". Dennoch kam vermehrt
die Sorge und auch eine gehörige Portion Angst bei allen Beteiligten
vor einer Rache bzw. vor einem Rückfall in das alte Systems auf.
Es war eine gewisse Befreiung dorthin zu gehen und so viel Menschen auf
der Straße zu sehen. Das machte Mut. Aber dennoch die Unruhe, wie
würden sich die Russen verhalten- in Naumburg waren ja 30.000 sowjetische
Soldaten stationiert. Das belastete natürlich alle und wenn es eins
nicht gab, dann die Parole "Russen raus!".
Verglichen
mit Fotos von westlichen Reportern haben Sie eher eine räumliche
Distanz gehalten, die Demonstranten eher als "stummer Beobachter"
fotografiert. Wie vorsichtig mußte man im Herbst 89 noch sein?
Es war so,
daß die Stasi so verhaßt war, daß ich mehrmals bei Demonstranten,
die mich nicht kannten, in den Verdacht kam, für die Stasi zu fotografieren.
So hörte ich einige Male den Spruch "Stasi raus" mit Blick
auf mich. Das Foto mit den Kerzen an der Stasizentrale war für mich
das Schwierigste an jenem Tag und nur aus der Distanz möglich. Dort
waren einige junge Leute, die sich trauten, aus der Demonstration ausgeschert,
um auf der Mauer des Gebäudes Kerzen aufzustellen. Und dort liefen
natürlich die Kameras der Stasi, versteckt hinter den Fensterrollos.
Die Zimmer waren unbeleuchtet, aber man sah schemenhaft Gestalten hinter
den Fenstern.
Also war
die erste Demonstration die Spannendere?
Das stimmt.
Die hatte die Mischung zwischen Begeisterung, Hoffnung und Angst.
Hatte
die Stasi Sie auch im Visir?
Nicht nur
das. Meine Stasiakte, in der ich unter dem Pseudonym "Fotograf"
geführt wurde - so wurde mir mein Hobby zum Verhängnis - ist
ein dickes Buch, das mir nach Jahren ausgehändigt wurde. Jahrelang
wurde ich observiert. Jede Bewegung, selbst die Einrichtung meines Fotolabors
im Landbaukombinat wurde akribisch dokumentiert. Ein Beispiel: Einmal
habe ich oberhalb des Buchholzgraben Wolkenformationen fotografiert, allerdings
war auch ein Strommast darauf, der zu einer russischen Kaserne führte
und im Hintergrund lag von mir unbeachtet eine Radarstation. Also kam
ich in den Verdacht der Spionage bzw. Sabotage. Es dauerte jahrelang bis
diese Mistkrepels feststellten, daß ich von meinem Standplatz keinerlei
Einsicht auf die dortliegenden Anlagen haben konnte. Das ist einer von
unglaublich vielen Fällen, die bei der Stasi zu folgenden Mutmaßungen
führte: Entweder würde ich unter dem Einfluß westlicher
Verwandter stehen oder sogar ein "angeworbener Spion eines imperialistischen
Geheimdienstes" sein. Zum Schluß kam man aber doch zu der Einschätzung,
daß der Sachverhalt auf meine "Hobbyinteressen auf fotografischen
Gebiet" beruhe.
Einer
Anekdote gleich kam der Abbau des Marx und Engels Denkmal vor der SED
Kreisleitung - was passierte da?
Ich sollte
im Auftrag der Zeitung "Freiheit" im Frühjahr ´90
Fotos machen. Da die Bronzefiguren im Dunkeln abgeräumt werden sollten
- man wollte so wenig Öffentlichkeit wie möglich - war dies
natürlich bei den schlechten Lichtverhältnissen schwierig. Lenin
konnte der kleine Bagger schnell entfernen, aber Marx blieb standhaft
und konnte am selbigen Abend nicht entfernt werden. Und so wurde das Seil
um seinen Körper wieder entfernt. Wenn man bedenkt, daß Jahre
vorher noch von der Stasi gegen jeden hart vorgegangen wurde, der ihm
zum Beispiel im Winter eine Pudelmütze aufgesetzt oder einen Schal
umgebunden hatte. Sicherlich war das nur als kleiner Jugendstreich gedacht,
konnte aber den Urheber schnell ins Gefängnis bringen.
Wenn Sie
nunmehr zehn Jahre später ihre Fotos betrachten, gibt es da noch
so ein Kribbeln oder einen leichtern Schauer?
Eigentlich
nicht. Es ist vorbei und für mich Geschichte. Wenn man aber tiefer
nachdenkt, dann erinnert man sich an viele Sachen wieder, vor allem, wie
sich die Hoffnungen am Ende realisiert haben. Jeder dachte, alles wird
wie im Westen, alles wird paradiesisch. Aber vieles kam anders, denken
Sie allein an die vielen Arbeitslosen. Auch ich habe kurz danach meinen
alten Beruf verloren. Aber ich bin wirklich froh, wie alles gekommen ist.
Vieles ist schöner geworden, allein wenn ich mir das Stadtbild ansehe,
die vielen neugepflanzten Bäume und restaurierten Gebäude. Und
auch das Leben auf den Plätzen, vor allem im Sommer mit den Biergärten
- kein Vergleich zu früher.
Herr Heineck,
vielen Dank für das Gespräch und vor allem, daß wir mit
Ihnen diese Ausstellung machen dürfen.
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